Donnerstag, 8. März 2012

Spielregeln... (Fortsetzung von: Kampfsportart oder Umarmung)

Teil 1. - der Cabeceo

Als der Tango nach Europa kam sind einige Sachen aus dem Flugzeug in den Atlantik gefallen, und das ist schade. Der ocho cortado ist so eine dieser Sachen, dazu gibt es noch viel zu sagen, aber nicht jetzt. Deutlich schmerzhafter ist der Verlust der Regeln. Man weiss oft nicht, wie man sich in der Milonga zu benehmen hat. Und wenn man es weiss, hat man vielleicht Nachteile.

So wie ein guter Freund von mir, der sich weigert, zum Tisch zu gehen, und die Frauen wörtlich einzuladen. Er schaut sie aus einer gewissen Entfernung an, und wenn sie nicht zurückschauen, wenn sie nicht mit einem Nicken annehmen, dann tanzt er nicht. Er tanzt ganze Abende nicht. Viele halten ihn für arrogant. Ist er nicht.

Wieso ist es wichtig, dass das Auffordern über Blickkontakt – der Cabeceo – funktioniert? Weil Regeln nicht da sind, um das Leben schwieriger zu machen, sondern leichter. Das Auffordern auf Distanz hat für beide – Männer und Frauen – Vorteile. Wenn es nicht funktioniert, wird vieles viel, viel schwieriger.

Für die Männer: hingehen, über der ganzen Tanzfläche, zu einer Tänzerin, sie mit Wort und Geste auffordern, kann sehr peinlich sein, wenn sie nein sagt. Wenn alle zugesehen haben, dass man abgewiesen wurde, und als Abgewiesener weiterziehen muss. Manche Frauen ersparen die Peinlichkeit, tanzen gegen den eigenen Willen und ärgern sich. Andere sind nett und geben einen Vorwand. Ich bin müde. Meine Füsse tun weh. Nicht jetzt, später. Damit sagen sie aber: Nein, ich will nicht mit dir tanzen. Aber ich bin nett und sage irgend etwas, damit du nicht dumm da stehst. Das verstehen manche Männer wiederum nicht, und ärgern sich, falls die Dame kurze Zeit später mit einem anderen tanzt. Anstatt dankbar zu sein, dass sie freundlich war. So freundlich wie es ging. Mit jemandem tanzen, mit dem es nicht schön ist, ist für viele eine Qual.

In einem Land, in welchem das Auffordern mit dem Blick funktioniert, weiss der Mann: sie schaut mich nicht an, gut, sie will nicht mit mir tanzen. Er kann sich dazu ergänzen: sie ist eine arrogante Zicke, sie weiss nicht, was ihr entgeht, sie traut sich nicht, weil ich zu sexy bin. Alles recht. Aber: sie will nicht. So einfach. Alles Peinliche bleibt erspart.

In einem Land, in welchem der Cabeceo nicht funktioniert, weiss der Mann nicht: schaut sie nicht zurück, weil sie nicht weiss, wie das gemacht wird, oder will sie nicht mit mir tanzen? Männer, die sich weigern, es falsch zu machen, können ganze Abende stehen. Frauen, die es nicht kapieren, kommen um viele wunderbare Tänze. Schade für beide.

Aus der Sicht der Frau: Wenn ich in eine Milonga gehe, die ich nicht kenne, werde ich ganz sicher mehrere Tandas sitzen und schauen. Ich versuche herauszufinden, wer schön tanzt (und wer nicht) und versuche mir die Leute ein bisschen zu merken. Danach kann ich genau den Mann anschauen, mit dem ich gern tanzen würde. Ich bin nicht ausgeliefert und muss nicht warten, dass mich jemand “holt“. Wenn in dieser Zeit einer zum Tisch kommt und mich auffordert, bekommt er ein klares nein. So erspare ich sowohl mir als auch einem potentiellen Mr. Gancho unangenehme Momente.

In einem Land, in dem der Cabeceo nicht funktioniert... Na ja, in diese Richtung funktioniert er meistens. Wahrscheinlich, weil Männer nicht so gewohnt sind, dass sie eine Frau fix anschaut, und wenn eine es tut, kommen sie drauf, dass sie was will...

Es ist aber schade, wenn man sich 360 Grad drehen muss, um jemandem auszuweichen, der entschlossenen Schrittes auf einen zukommt, und der es dann schafft, trotz herzhafter Wegschau-Bemühungen vors Gesicht zu erscheinen und zu fragen: “Magst du tanzen?“ Oder – ist wirklich geschehen – “Schaust du weg, weil du nicht mit mir tanzen willst, oder schaust du zufällig weg?“

1 Kommentar:

  1. Das Auffordern aus der Distanz hat zwei wunderbare Bestandteile: Die Mirada und den Cabeceo. Beide sind aufs innigste miteinander verwoben. Ein Cabeceo ohne vorherige Mirada ist undenkbar. Die Mirada ist der Punkt, wo sich alles entscheidet. Die Mirada, das ist der Blickkontakt zwischen zwei potenziellen Tanzpartnern. Sind beide sich einig, sich miteinander für eien Tanda verabreden zu wollen, folgt der Cabeceo, eine knappe Kopfbewegung, die Einverständnis signalisiert. Ist indessen einer der beiden potenziellen Tanzpartner nicht bereit für eine Verabredung, folgt der Mirada...nichts. Der uninteressierte Part wird den Kopf diskret zur Seite wenden, den Blick senken, sich ein Getränk besorgen - was auch immer. Es muss die Mirada klappen, damit der Cabeceo überhaupt erst möglich wird.

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