Mittwoch, 20. April 2011


Mein erster Kontakt mit dem Tango war in New York. In Belle Epoque, da tanzte man an jenem Abend ausnahmsweise Tango statt Swing. Ich fand es schrecklich. Wollte meinen Partner überzeugen, “europäischen Tango“ mit mir zu tanzen. Er wollte es nicht. Zum Glück nicht.

Der zweite Kontakt war Liebe auf den zweiten Blick. Hab nie wieder meine ursprüngliche Disziplin (Standard und Latein), sondern nur noch Tango getanzt. Mein damaliger Lehrer wurde in drei Monaten zu... mehr. Von ihm bekam ich in den folgenden vier Jahren – schöne, aber sehr stürmische Jahre – vieles mit. Vor allem die Sprache – Spanisch in seiner lokalen Buenos Aires –Färbung – und die Musik. Unzählige Anekdoten und Hintergrundwissen über die Orchester, die er teilweise noch live erlebt hat. Als dreizehnjähriger Junge hatte er für Goyeneche dessen Lieblingsspeise zubereitet: Selleriestengel mit Roquefort und je einer Baumnuss. Dazu viel Cognac, versteht sich. “Junge, ich zeige dir, was du mir bringen musst...“ – so machte er mit tiefer, heiserer Stimme den grossen Sänger nach, den man “el Polaco“ nannte. Und der Taxifahrer war , und nur durch Zufall zu seiner Karriere kam. Solche Geschichten kann man im Internet nicht nachlesen. Und wenn, haben sie nicht den gleichen Stellenwert. Ich bin meinem damaligen Partner und ersten Tangolehrer sehr dankbar, denn er hat mir eine Welt vermittelt, in die man ansonsten nur hineingeboren wird.

Zum Tango gehört neben Musik und Tanz auch die Poesie. Wir lieferten uns verbitterte Wettkämpfe: einer fing mit einer Strophe an, der andere musste die nächste Strophe rezitieren.  Er hatte sich die Texte in unzähligen Nächte in Buenos Aires gemerkt, auf dem ewigen “circuito“ in den Milongas, der meistens nachmittags in Maipu 444 anfängt und um sechs Uhr morgens in der Viruta endet. Ich, in Wettkampf mit ihm. Nicht ahnend, dass ich eines Tages auch dem circuito verfallen würde.

Ab 2007 war ich zwei Mal jährlich in Buenos Aires, um mich in Tanzen und Unterrichten ausbilden zu lassen. Ich staunte immer wieder darüber, was gute Pädagogen mit ihren Schülern machen können. Besonders geprägt wurde ich tänzerisch von Elina Roldán, Angel Coria, Aurora Lubiz, dem Flaco Dany und in letzter Zeit von Guillermina Quiroga. Didaktisch hat mich vor allem Angel beeindruckt: er kann mit einer Schülergruppe Sequenzen einstudieren, von welchen ich anfangs denke: no chance! Und doch! Und das beste dabei ist: die Schüler verinnerlichen die zugrundeliegende Technik und bauen die neuen Schritte locker in ihr Repertoire ein. Wie geht das? In den vielen Jahren, in denen ich alleine oder mit verschiedenen Partnern arbeite, habe ich für mich diese Antwort gefunden:

      Man muss sehr systematisch arbeiten. Improvisieren kann man auf der Tanzfläche. Nicht im Unterricht.
      Man muss ein klares Ziel haben. Meines ist die Freude am Tanzen. Die Schüler haben dann Spass daran, wenn es völlig mühelos ist, schwebend, wie Fliegen. “Push and pull“ macht nicht süchtig. Schönes Tanzen schon.
      Gewisse Details sind wichtig, andere nicht. Zuschauen können und erkennen, wieso etwas nicht klappt, und was genau geändert werden muss, ist von zentralster Wichtigkeit. Die Freude, die ein Pärchen verspürt, das seit fünf Jahren erfolglos Volcadas versucht in dem Moment, wo es endlich klappt, steckt an.
      Man soll, glaube ich, seine Schüler lieben. Ich tue es, von ganzem Herzen.  Letztes Weihnachten haben sechs meiner Pärchen in einem Altersheim vorgetanzt. Die Frauen in rotem Kleid, die Männer ganz in schwarz. Als sie, ein Paar nach dem anderen, zu Fresedos Musik ins Rampenlicht traten, bekam ich Gänsehaut. Sie waren alle, von sechzehn bis sechzig, meine Babies. Ich war unendlich stolz.

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